Sophus ist frustriert. Er weiß nicht, was er tun soll, um seine Angebetete endlich von seiner Liebe zu überzeugen. Bei einem Spaziergang trifft er Marie wieder, die er in der Heilerstation kennengelernt hat. Und da kommt ihm eine geniale Idee ... oder eine Idee, die er für genial hält. Was es damit auf sich hat? Lesen Sie weiter ...
Dieser besondere Tag war ein Sonntag. Sophus, der immer wieder an Lyra dachte – ob sie wohl Dienst hätte, was sie sonst wohl täte, ob er sie vielleicht in der Innenstadt treffen würde, wenn er einfach aufs Geratewohl losspazierte und auf den Zufall hoffte – entschloss sich, die Zeit nicht in seiner Wohnung vergraben zu verbringen, sondern ein wenig im Sonnenschein zu bummeln. Inzwischen war der erste Monat von Sophus‘ Strafe abgelaufen. Auf Sylt II gab es unter den Gefangenen die Tradition eines Bergfestes, wenn die Hälfte einer Strafe verbüßt war, aber das war Sophus nicht bekannt. Er hätte auch keinen Grund zum Feiern gesehen, wenn er es gewusst hätte, denn Lyra war nicht bei ihm. Trotzdem zog es ihn in die warme Sommerluft.
Er wollte sich nicht wieder zum Siebenhöfeweg aufmachen und dort in einem Café mit anderen Zauberern sitzen, aber er konnte sich unter die Touristen mischen. Schließlich gab es auch bei Muggeln Cafés. Nein, falsch, nur bei denen gab es gute dieser Etablissements, denn dies gehörte auch zu den Künsten, die die nichtmagisch Begabten besser als Zauberer beherrschten – Kaffee kochen und Torten gestalten.
Als Kind hatte Sophus, wie viele Zaubererkinder, nur Kesselkuchen gekannt. Der war nicht schlecht und Mutters Kuchen ist sowieso immer der Beste, aber was die Konditoren der Muggel aus Mehl, Eiern, Milch, Zucker, Sahne, Schokolade, Nougat, Obst und anderen Zutaten schufen, grenzte an Magie, die auf der Zunge explodierte und einen in puren Glücksrausch versetzte.
Auf der Breiten Straße sah sich Sophus die Schaufenster an und staunte, wie so oft, über den Erfindungsreichtum der nichtmagisch Begabten. Manches, was man da zu sehen bekam, war einfach unglaublich.
Im Schaufenster eines Spielzeugladens fuhr ein kleiner Zug im Kreis herum, der dem Hogwarts-Express nachempfunden war. Sophus blickte auf, da sah er ihr Spiegelbild. Im ersten Augenblick wusste er nicht, wieso ihm die junge Frau bekannt vorkam. Aber dann schoss die Erkenntnis durch sein Hirn: Marie. Und praktisch gleichzeitig wurde ihm klar, welche Chance sich ihm damit bot, Lyra zu helfen, ihre Theorien zu beweisen. Das würde sie glücklich machen. Davon war er in diesem Moment felsenfest überzeugt.
Er fuhr herum, machte zwei Schritte auf die junge Frau zu, die erschrocken stehenblieb und ihn mit großen Augen anblickte. Genauso hatte sie ihn angesehen, als er ihr in der Heilerstation eröffnete, er wäre ein Zauberer.
„Ähm Verzeihung“, sagte er nur.
Marie musterte ihn mit interessiertem Blick. „Kennen wir uns?“ Sie versuchte offensichtlich, seine Gesichtszüge in ihre Vergangenheit einzuordnen.
„Wenn es nicht wie die älteste Anmache der Welt klingen würde, wären dies genau meine Worte gewesen. Wir kennen uns tatsächlich.“
Marie musterte ihn genauer, dabei wurde ihr Gesichtsausdruck zunehmend skeptischer.
„Ich kann mich nicht erinnern. Sie irren sich wahrscheinlich.“ Sie wollte weitergehen.
„Halt, warten Sie, rennen Sie doch nicht weg.“
„Was wollen Sie denn noch? Ich habe Ihnen gesagt, dass ich Sie nicht kenne. Und, ehrlich gesagt, möchte ich Sie im Moment auch nicht kennenlernen.“
„Warum nicht?“
„Weil … weil …“ Eine freundlich klingende Begründung wollte ihr wohl nicht einfallen, denn sie sagte schließlich nur: „Weil ich eben nicht will.“
„Das ist kein Grund. Außerdem sind wir uns schon einmal begegnet. Erinnern Sie sich an Bad Harzburg.“
„Ja, da war ich vor etwas über einer Woche. Ich habe einen Wellnesstag dort verbracht.“
„Sehen Sie, ich auch“, log Sophus.
„Ich kann mich nicht an Sie erinnern.“
„Doch, Sie haben mich ganz genau gemustert, als ich Sie angesprochen habe, Marie, weil Sie versucht haben, mich einzuordnen.“
„Woher kennen Sie meinen Namen?“
„Sie haben ihn mir genannt, Marie Brandauer, so heißen Sie doch?“
„Ja.“ Marie blieb erneut stehen, sah Sophus eindringlich an und grübelte. „Meine Güte, wer sind Sie? Verfolgen Sie mich?“
Sophus schüttelte den Kopf. „Ich habe Sie ganz zufällig hier im Spiegel des Schaufensters gesehen. Wissen Sie was, ich lade Sie auf einen Kaffee oder Tee ein und dabei …“
„Nein!“ Marie rief das Wort so laut aus, dass einige Passanten stehenblieben und die Szene beobachteten.
„Hey, lassen Sie die Frau in Ruhe“, rief ein junger, kräftig gebauter Mann zu Sophus hinüber und machte sich auf den Weg zu Marie, um notfalls eingreifen zu können. Sophus hob die Hände mit den offenen Handflächen nach außen.
„Meine Güte, was haben Sie denn, ich wollte mich nur in Ruhe mit Ihnen unterhalten. Jetzt denken die Leute hier sonst was von mir.“
„Ich lasse mich grundsätzlich nicht von Fremden zu einem Tee einladen“, sagte Marie. „Dagegen bin ich allergisch.“
„Sie sind gegen Tee allergisch? Letztens haben Sie mir und anderen erzählt, wie Sie bei Twinnings in London welchen getrunken und dabei George kennengelernt haben?“
„Ich war nie …“ Der Satz blieb unvollendet, Sophus erfuhr nicht, was oder wo Marie ihrer Meinung nach nie gewesen war. Marie sah aus, als beobachte sie die Silhouetten des Harzes weit im Hintergrund.
„Doch“, sagte sie dann. „Ich war in London. Ich bin auf dem ‚Strand‘ spazieren gegangen und habe da in einer Art Fabrikladen Tee getrunken. Aber die Erinnerung ist so verschwommen, als wäre alles viele Jahre her.“ Erschrecken zeichnete sich in Maries Gesichtsausdruck ab. „Aber das war doch erst vor einem halben Jahr.“
„Kommen Sie, da drüben ist ein nettes Café. Da wollen wir uns in Ruhe unterhalten.“
„Ist alles in Ordnung?“, fragte der junge Mann, der Marie in Schutz genommen und sich neben ihr postiert hatte.
„Ja, kein Problem“, erwiderte diese. „Mir passiert schon nichts.“
„Okay.“ Der Mann ging seiner Wege.
„Kommen Sie.“ Sophus trat vorsichtig näher an Marie heran, passierte sie auf dem Weg zur anderen Straßenseite, wo vor einem Lokal einladend Stühle, Tische und Sonnenschirme auf die Straße gestellt worden waren.
Sie nahmen an einem freien Tisch Platz. Sophus warf kurz einen Blick in die Karte, reichte sie Marie hinüber und lächelte.
„Ich möchte Sie nur um eines bitten“, sagte er. „Machen Sie kein Geschrei und laufen Sie nicht einfach weg, egal was ich Ihnen erzählen werde. Ich werde Ihnen nichts tun, das verspreche ich.“
Marie senkte die Karte und schaute ihr Gegenüber forschend an. „Keine unmoralischen Angebote“, erklärte sie.
„Nein, auf keinen Fall, ich brauche Ihre Hilfe.“
„Wie könnte ich Ihnen helfen? Ich weiß nicht einmal, wie Sie heißen, obwohl Sie offensichtlich meinen Namen kennen.“
„Ich heiße Sophus, Sophus Schlosser. Ich arbeite als Besenbinder und war gemeinsam mit Ihnen in einer Heilerstation in der Nähe von Drei Annen Hohne.“
Marie schüttelte den Kopf. „Heilerstation? Was soll das sein? Und da oben bin ich seit Jahren nicht mehr gewesen. Wandern ist nicht gerade mein liebstes Hobby.“
„Heilerstation – Sie können es auch Krankenhaus nennen.“
Eine Kellnerin trat an den Tisch und sie bestellten. Marie wollte erst einen Tee nehmen, aber dann überlegte sie es sich plötzlich anders und entschied sich für Fruchtsaft.
„Ich glaube nicht, dass ich je in einem Krankenhaus war. Ich bin immer gesund gewesen. Und von einem Krankenhaus bei Drei Annen Hohne habe ich nie zuvor gehört. Das sind doch nur drei, vier Häuser und viel Wald und Felsen drum herum.“
„Das Krankenhaus ist nicht direkt in Drei Annen Hohne, es liegt weiter oben im Gebiet der Klippen. Wir waren im gleichen Zimmer. Aber es ist kein Wunder, dass Sie sich nicht mehr an mich erinnern.“ Die Kellnerin stellte die Getränke auf den Tisch. Sophus wollte Maries Saft näher zu deren Seite hinüber schieben.
„Fassen Sie mein Glas nicht an“, fauchte diese.
Sophus zuckte wie vom wilden Gnom gebissen zurück.
„Man hat Ihnen also etwas beigebracht“, sagte er. „Das sieht mir ganz nach Lyra aus.“
„Wer soll mir etwas beigebracht haben? Wie kommen Sie darauf? Und was hat eine Lyra damit zu tun? Ich mag es nur nicht, wenn Männer mit meinen Drinks herumspielen.“
„Wirklich interessant“, sagte Sophus. „Lyra ist übrigens die Frau, die ich liebe. Sie arbeitet als Heilerin in der Station ‚Drei Annen‘. Sie hat offensichtlich dafür gesorgt, dass man Ihnen in Zukunft nicht mehr so einfach etwas in ein Getränk mischen kann.“
„Wie kann eine Frau, die ich nicht kenne, an einem Ort, von dem ich nie zuvor gehört habe, mir etwas beigebracht haben. Ich glaube, ich trinke jetzt aus, stehe auf und dann verschwinden Sie aus meinem Leben. Ich gehe dort entlang“, sie wies die Straße hinunter, dorthin wo sie zum Rathaus führte, „und Sie gehen in die entgegengesetzte Richtung.“
„Das ist schade“, sagte Sophus schlicht.
„Für Sie oder für mich?“
„Für uns beide. Sie werden nie erfahren, was Sie wirklich erlebt haben, als Sie in Bad Harzburg waren, und ich werde Lyra nicht helfen können.“ Sophus zuckte mit den Schultern.
„Haben Sie nicht vorhin erzählt, Sie hätten dort wie ich einen Wellnesstag verbracht?“
„Das war gelogen.“ Sophus nippte an seinem Kaffee. „Ich werde ein kleines Experiment machen. Ich kann aber nicht versprechen, dass es wirklich funktioniert. Schließlich habe ich … ein wichtiges Hilfsmittel nicht dabei. Wären Sie bereit wenigstens so lange zu bleiben. Vielleicht rücken Sie mit dem Stuhl ein wenig zurück.“
Marie schaute konsterniert, tat aber wie geheißen.
Sophus, der sich nicht sicher war, wie gut er ohne Zauberstab Magie hervorbringen konnte, da es ihm selbst mit oft nicht leicht gefallen war, versuchte es dennoch. Er konzentrierte sich mit ganzer Kraft auf die Zuckerdose und murmelte: „Wingardium Leviosa.“
„Das kenne sogar ich“, sagte Marie lachend. Und da sich trotz intensiver Konzentration Sophus‘ nicht einmal ein Zuckerkrümel in die Luft erhob, ergänzte sie in einer annehmbaren Hermine-Imitation: „Sie betonen das falsch. Es heißt Leviósa.“
„Stimmt“, sagte Sophus nur lakonisch und probierte es erneut mit der korrekten Betonung.
Langsam und etwas schwankend erhob sich die Zuckerdose vom Tisch, um in Kopfhöhe zwischen beiden zu verharren.
„Das ist ein toller Trick“, sagte Marie und blickte das fliegende Gefäß von beiden Seiten an, um die in ihren Augen notwendigen Fäden oder anderen Halterungen zu entdecken.
„Wie machen Sie das?“, fragte sie verblüfft, da sie nichts erkennen konnte, was die Dose in der Luft hielt.
„Keine Ahnung“, erwiderte Sophus. „Es funktioniert einfach. Habe ich an der Hohne-Klipp-Schule gelernt.“ Das Lehrinstitut hieß natürlich nicht wirklich so, aber alle seine Absolventen verwendeten den Spitznamen.
„Nein, das glaube ich nicht“, sagte Marie und wedelte mit den Händen abwehrend über dem Tisch herum. Diese Störung von Sophus‘ Konzentration reichte aus, das Gefäß erst eine gefährliche Schräglage einnehmen und dann vollends abstürzen zu lassen. Klirrend zersprang es neben dem Tisch auf dem Boden.
„Jetzt habe ich Ihnen die Fäden zerrissen“, sagte Marie halb bedauernd, halb zufrieden dem Spuk ein Ende bereitet zu haben.
„Nicht ganz, sehen Sie.“ Sophus deutete auf ein kleines Häufchen Zucker, das weiterhin dort in der Luft hing, wo vor wenigen Augenblicken das ganze Gefäß geschwebt hatte.
„Sie sind … das ist …“ Marie starrte den Zucker an. „Blödsinn! Es muss eine ganz einfache Erklärung für dieses Phänomen geben.“
„Natürlich gibt es die“, erwiderte Sophus.
„Und wie lautet sie?“
„Ich bin ein Zauberer.“
„Aber das ist doch Unsinn“, begehrte Marie auf. „Es gibt keine Zauberer. Früher war das ein dummer Aberglaube, und heute ist es eine erfolgreiche Methode, Leuten Geld für Träume aus der Tasche zu ziehen. Wenn man in einen Buchladen geht, kann man sich vor Geschichten über Elfen, Vampire, Werwölfe, Zauberer und Hexen kaum retten. In London kann man sich sogar an Gleis 9 ¾ fotografieren lassen.“
„Sie erinnern sich also?“
„Woran?“
„Dass Sie in London waren, dort einen Mann kennengelernt haben, mit dem zum Bahnhof King‘s Cross gefahren sind, um ihn an besagtem Gleis zu fotografieren und später mit ihm … Sie wissen schon, was.“
„Ist das typische Zauberersprache, dieses Verklausulieren unliebsamer Tatsachen? Sie wissen schon was. Du weißt schon wer. Nein, ich weiß nicht was. Ich habe keinen Mann in London kennengelernt. Ich war allein am Bahnhof.“
„Gibt es ein Foto von Ihnen an dem Gleis? Sie wissen schon an welchem. Oh, also an Gleis 9 ¾.“
„Klar, sonst braucht man doch da gar nicht hinzufahren. Was sollte man sonst da?“
„Mit einem Zug irgendwohin fahren.“
„Ja, aber als Londontourist, meine ich. Jedenfalls habe ich ein Foto. Aber natürlich trage ich das nicht spazieren. So aufregend ist es auch wieder nicht, dass ich es in meinem Portemonnaie herumtragen wollte.“
„Wer hat Sie fotografiert?“, fragte Sophus mit unschuldiger Miene.
„Äh.“ Marie schaute ihn mit offenem Mund an.
„Irgendjemand muss Sie doch fotografiert haben, wenn es eine Aufnahme gibt. Ein anderer Tourist vielleicht? Oder einer von den normalen Fahrgästen, der zufällig vorbeikam?“
„Ich weiß nicht mehr. Ich kann mich nur noch daran erinnern, dass ich an diesen Koffertransporter getreten bin, der da halb eingemauert rumsteht. Und an meine Kamera, die in der Luft schwebt.“
„Wie die Zuckerdose meine Sie?“
„Nein, ich sehe die Kamera und zwei Hände halten sie fest, aber dahinter ist nichts. Kein Mensch, kein Gesicht.“ Marie schüttelte sich, als habe ein kalter Wind sie gepackt. „Ein gruseliges Bild.“
„Da wurde etwas gelöscht“, erklärte Sophus. „Man hat einen Teil Ihrer Erinnerung umgemodelt.“
„Wie bitte? Das wird ja immer verrückter. Erst erzählen Sie mir, Sie seien ein Zauberer und jetzt behaupten Sie, irgendeine unheimliche Macht, hätte an meinem Gedächtnis herumgespielt. Es wird Zeit, dass ich gehe.“
„Keine unheimliche Macht – die Zaubererschaft.“
„Mal angenommen es gäbe Zauberer. Warum sollten die so etwas tun?“
„Weil es ein Gesetz gibt. Ich dachte, Sie hätten die Harry-Potter-Memoiren gelesen.“
„Ja, aber alles habe ich mir aus diesem Schmöker nicht gemerkt. Und was soll das mit den Memoiren?“
„Also, es gibt ein Dekret zur Geheimhaltung. Das stammt aus der Zeit der Hexenverfolgung. Wenn Muggel, Leute wie Sie, mit Zauberern oder Magie in einer Weise Kontakt haben, die deren Existenz enthüllt, muss das Gedächtnis der betroffenen Personen verändert werden.“
„Aber ich habe doch noch nie einen Zauberer getroffen – außer Ihnen, wenn alles stimmt, was Sie hier so von sich geben.“ Marie hob in einer Geste der Ratlosigkeit die Hände.
„Doch, haben Sie. In London sind Sie einem Zauberer über den Weg gelaufen, der Ihnen einen Liebestrank untergejubelt hat. Es ist sehr wahrscheinlich, dass er Ihnen das Zeug in einen Tee gemischt hat. Daher hat man Ihnen eine Abneigung eingepflanzt sowohl gegen Getränke, die Männer Ihnen ausgeben könnten, als auch gegen die Berührung Ihrer Trinkgefäße durch andere.“
„Aber vorhin haben Sie gesagt, wir wären gemeinsam bei Drei Annen Hohne in einem Krankenhaus oder so gewesen. Das ist ein bisschen weit weg von London.“
„Ja. In London ist schließlich nichts weiter Aufregendes passiert. Dieser Zauberer, George, hat Sie vernascht. Tut mir leid, so war es. Aber Sie bekamen einen Flashback. Das kommt bei Zaubertränken vor, wenn die nicht ganz korrekt gebraut sind. Sie sind irgendwie durchgedreht, und man hat Sie vor dem Casino Bad Harzburg aufgegabelt.“
„Da war ich doch nur zu einem Wellnesstag.“
„Schöner Wellnesstag – Sie sind dann in die Heilerstation gekommen und haben mit mir auf einem Zimmer gelegen.“
„Warum erzählen Sie mir das alles? Selbst wenn es wahr ist, was haben Sie davon, mir das alles zu erzählen? Insbesondere wenn es, wie Sie sagen, ein Gesetz gibt, dass das verbietet. Sie landen am Ende nur in Askaban.“
„Nach Askaban kommen nur die britischen Magier. Als deutschen Zauberer bringt man mich nach Sylt.“
„Hört sich nicht besonders schlimm an. Da war ich vor ein paar Jahren mal. Nette Insel, bloß ein bisschen teuer.“
„Sylt II ist eine künstliche Insel, liegt etwa 20 Kilometer vor der Küste der eigentlichen in der Nordsee und ist nicht wirklich sehenswert.“ Sophus winkte ab. „Egal, Sie wollten wissen, warum ich das alles erzählt habe. Ganz einfach: Ich bin verliebt.“
„In mich?“ Marie machte große Augen.
„Tut mir leid, nein, sondern in die leitende Heilerin der Muggelstation. das ist die Station, wo man Sie behandelt hat. Jedenfalls ist Lyra überzeugt, dass die Praxis der Illusionierung, also der Gedächtnisveränderung, nicht mehr zeitgemäß ist. Sie macht entsprechende Studien und hält demnächst einen Vortrag. Ich glaube, wenn Sie dort erscheinen und beweisen, wie gut es Ihnen geht mit dem Wissen, dass es Magie wirklich gibt, muss das die anderen Heiler einfach überzeugen.“
Marie runzelte die Stirn. „Sind Sie sicher, dass Sie Ihrer Freundin damit nicht etwa einen Bärendienst erweisen?“
„Wieso?“
„Ich dachte nur, wenn es ein Gesetz gibt, dass sie zu diesem Illusio-Dings verpflichtet, und dann spazieren Sie mit mir da aufs Podium und verkünden: ‚Hier, bei der hat das nicht geklappt, aber es geht ihr blendend.‘ Wie steht Ihre Lyra dann da?“
„So habe ich mir das nicht vorgestellt.“
„Wie sonst?“
Sophus zuckte mit den Schultern. „Weiß nicht genau, aber so jedenfalls nicht.“
„Außerdem hat es ja funktioniert. Ich kann mich an keinen Zauberer in London erinnern. Ich war nach meiner Meinung nie in einem Krankenhaus in Drei Annen Hohne oder irgendwo sonst im Hochharz. Ich habe Sie heute zum ersten Mal gesehen, wenn ich meinem Gedächtnis trauen darf. Was erwarten Sie also von mir?“ Marie sah Sophus neugierig an.
„Man bewahrt die Gedächtnisinhalte von Illusionierten auf. Ich muss Ihren nur beschaffen, dann wissen Sie wieder alles.“
„Beschaffen? Was soll das heißen?“
„Ich werde ins Archiv der Heilerstation gehen und Ihre Erinnerung mitbringen“, erklärte Sophus.
„Einfach so.“ Marie blickte skeptisch. „Sie marschieren da rein, nehmen meine Erinnerung, was immer das bedeutet, und kommen wieder zurück. Halten Sie mich für so naiv? Das ist ja noch bescheuerter als die Behauptung, Sie wären ein Zauberer. Sie wollen da einsteigen? Meine Erinnerungen klauen, stimmt‘s?“
„Anders wird es nicht gehen“, gab Sophus zu.
„Was soll ich tun? Schmiere stehen?“
„Nichts, ich brauche nur Ihre Adresse oder eine Telefonnummer, damit ich Sie erreichen kann, wenn ich die Erinnerung habe. Und dann müssen Sie mit mir nach Dresden kommen, wenn dieser Kongress stattfindet.“
„Wann wäre das? Ich habe schließlich einen Beruf. Ich kann nicht einfach so mal ein paar Tage nach Dresden verschwinden, da muss ich Urlaub nehmen.“
„Heißt das, Sie würden mir helfen?“
„Erstens ist es meine Erinnerung, von der wir hier reden. Wenn mir die wirklich jemand geklaut hat, hätte ich sie gern wieder zurück. Zweitens wollte ich schon immer mal die Sixtinische Madonna sehen.“ Marie zog einen Zettel und einen Stift aus ihrer Handtasche und schrieb ein paar Ziffern darauf. „Ich gebe Ihnen meine Telefonnummer. Wir treffen uns wieder in der Innenstadt, wenn Sie meine Erinnerungen haben. So ganz geheuer sind Sie mir nämlich nicht. Da möchte ich meine Adresse nicht weggeben.“
„Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll.“
„Bringen Sie einfach meine Erinnerungen zurück. Und bezahlen Sie die Rechnung. Kommen Sie mir nicht nach.“ Mit diesen Worten stand Marie auf und entfernte sich Richtung Markt.
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