Wie Sophus auf der Muggelstation landet

Arg lädiert, aber am Leben. So könnte man Sophus' Zustand nach seiner Bruchlandung beschreiben. Verzweifelt versucht er die Krankenpfleger zu überzeugen, ihn in die Obhut seiner großen Liebe zu geben, die ihm noch immer keine Beachtung schenkt. Saphira Grasshoff, eine Heilerin älteren Semesters, nimmt sich seiner zunächst an. Was man zu seiner Besserung unternimmt und ob Lyra ihn tatsächlich kurzerhand aus der Station wirft? Lesen Sie mehr!

„Er kommt wieder zu sich“, hörte Sophus jemanden sagen. Er lag auf einer Bahre in einem grüngetünchten Flur.

‚Heilerstation‘, fiel ihm wieder ein. Er hatte das Gefühl, jeder Knochen in seinem Körper wäre gebrochen worden. Der Cruciatus-Fluch konnte nicht schlimmer sein.

„Wo bringen wir ihn hin?“

„Station vier. Nichtmagische Verletzungen. Is‘ schließlich ziemlich unmagisch zu Boden gegangen.“

Vorsichtig drehte Sophus den Kopf. Neben der Bahre standen zwei Helfer. Muggel hätten sie Krankenpfleger genannt. Im Gegensatz zu den Heilern trugen sie rot-weiß gestreifte Umhänge. Manche Zauberer bezeichneten sie daher scherzhaft als Zebra­flamingos.

„Muggelstation“, brachte Sophus mühsam hervor.

„Der meint, er wäre ‘n Muggel“, bemerkte einer der Helfer.

„Muss auch am Kopf was abbekommen haben“, sagte der andere.

„Wieso? Vielleicht stimmt’s ja. So wie der Bruch gemacht hat.“

„Wenn er ‘n Muggel wäre, wüsst‘ er nich‘, dass er ein Muggel is‘. Muggel sagen nicht Muggel zu Muggeln.

„Hä?“

„Muggel wissen nichts von Zauberern. Die wissen also auch nich‘, dass wir sie Muggel nenn’n. Wenn er also das Wort kennt, is‘ er mit Sicherheit ein Zauberer und muss auf Station vier.“

„Warum hat er dann verlangt auf die Muggelstation zu komm’n? Is‘ doch komisch für ’n echten Zauberer.“

„Der Unfall.“ Der Helfer machte eine winkende Bewegung mit der offenen Hand vor seiner Stirn.

„Muggelstation“, brachte Sophus erneut heraus. „Bitte.“

„Was will der da?“

„Das geht uns nichts an. Wir bringen den jetz‘ auf Station vier.“

„Nein.“ Sophus schrie es, so laut er konnte. Lyra sollte sehen, was passiert war. Sie sollte sehen, wie weit er in seiner Liebe zu ihr gegangen war.

„Pass auf, wir bringen den jetzt erst mal zur Muggelstation. So wie er will. Is‘ nich‘ so weit wie die Vier. Vielleicht kenn’n die ihn ja. Ich frag mich schon die ganze Zeit, was der da gemacht hat in der Luft.“

„Ein Herz hat er in den Himmel gemalt. Haste das nich‘ mitgekriegt?“

„Ach, das war der Typ. Das Herz hab ich noch gesehen, als ich rauskam, um ihn uffzusammeln. Is‘ ja irgendwie romantisch. Malt ein Herz in den Himmel und stürzt dabei ab. Vielleicht is‘ ja seine Angebetete auf der Muggelstation.“

„Dann hat er das Herz aber auf die falsche Seite gemacht. Doppelt dämlich. Besen anzünden, Herz malen, dabei abkacken und dann alles für die Katz‘,“

„Komm, wir schaffen den jetz‘ weg. Wird Zeit, dass wir weiterkomm’n.“ Zwei Zauberstäbe tauschten in Sophus Gesichtsfeld auf und die Bahre setzte sich in Bewegung.

„Was bringt ihr denn an?“, wurden sie von einer Stimme begrüßt, die Sophus bekannt vorkam. Das war die ältliche Heilerin, fiel ihm wieder ein, Saphira hieß sie.

„Absturz mit Besen.“

„Da seid ihr hier falsch, Leute. Das hier ist die Station für nichtmagisch Begabte. Die wären wohl kaum mit einem Besen geflogen.“

„Und was war mit der alten Dame?“, fragte die Männerstimme, die Sophus ebenfalls kannte.

„Die ist nicht mit dem Besen abgestürzt, sondern vom Dach gefallen.“

„Aber zuvor ist sie mit einem Besen geflogen. Wenn auch nicht sehr weit.“

„Der hat ‘n Herz an den Himmel malen woll’n. Aber der Besen ist ihm unterm Arsch weggebrannt.“ Das sagte der Helfer, der seinen Kollegen dazu bewogen hatte, Sophus in die Muggelstation zu bringen.

„Na also, da muss er wohl ein Zauberer sein. Ein bisschen plemplem vielleicht, aber trotzdem ein Zauberer. Schafft ihn zur Station vier, aber flott.“ Saphira klang sehr energisch bei diesen Worten.

„Er wollte hierher.“

„Ach, entscheiden jetzt schon die Patienten, auf welche Station sie gebracht werden. Zeigt mir den Kauz mal.“ Saphiras Gesicht kam in Sophus Blickfeld. „Ach, der ist das. Da kann ich ihn erst nicht hier gebrauchen. Die Chefin bringt ihn um.“

„Hä? Wieso das?“ Die Helfer sprachen fast im Chor.

„Seid nicht so neugierig“, tadelte Saphira, nur um ihnen anschließend die Geschichte brühwarm zu erzählen, soweit sie ihr bekannt war.

„Darum das Herz“, sagte einer der Helfer.

„Jetz‘ wird das klar“, sagte der andere. „Bloß doof, dass eure Chefin gar nichts mitbekommen hat.“

„Ja, könnte ei’m fast leidtun der Typ.“

„Weint nur nicht. Geht, lasst ihn hier. Der liegt schon viel zu lang mit seinen Verletzungen so rum.“ Sie wandte sich offenbar an den Heiler an ihrer Seite. „Markus, mach Untersuchungsraum zwei klar. Ich schaff ihn gleich hinter.“ Schritte entfernten sich. „Und ihr quatscht nicht. Was ich erzählt habe, geht hier im Haus niemanden was an.“ Die beiden Helfer trollten sich ebenfalls.

„Lyra wird wahnsinnig, wenn sie das mitbekommt“, seufzte sie. Dann bugsierte sie die Bahre in den Untersuchungsraum, den der Heiler Markus bereits vorbereitet hatte.

Nach einer Viertelstunde, die Sophus für eine Tortur hielt, die Saphira besonders ausdehnte, um ihm deutlich zu zeigen, wie verwerflich er sich gegenüber Muggelfrauen verhalten hatte, stand fest, dass er sich drei Rippen, beide Beine und einen Arm gebrochen hatte. Außerdem hatte er sich den Schädel geprellt. Innere Organe waren nicht geschädigt worden.

„Das kriegen wir wieder hin“, sagte der Mann, von dem Sophus inzwischen wusste, dass er Heiler Adamczyk war.

„Wir bringen ihn in Zimmer drei“, sagte Saphira, für ihn Heilerin Graßhoff. „Vorher gehe ich aber zur Chefin und kläre sie über unseren neuen Patienten auf. Sonst erwürgt sie ihn wohlmöglich bei der morgendlichen Visite.“

„Mach das, ich bringe ihn allein rüber.“

Saphira machte sich auf den Weg zu Lyras Büro, Markus seinerseits steuerte die Bahre aus dem Untersuchungsraum und über den Gang, zu einem Zimmer auf der rechten Seite.

„Sie haben Glück, dass wir ein ganzes Zimmer frei haben. Wir hätten Sie ja schlecht mit Muggeln zusammenlegen können, nicht. Das hätte deren Heilungschancen auf keinen Fall verbessert.“

Das Zimmer bot Platz für wenigsten vier Patienten. Sophus‘ Bahre wurde nahe ans Fenster geschoben.

„Da haben Sie einen hübschen Blick“, sagte Markus. Gerade als es so aussah, als wolle er sich abwenden und den Patienten allein lassen, drehte er sich noch einmal um.

„Sagen Sie mal, stimmt das, Sie haben wirklich der Chefin eine Dosis Liebestrank verabreichen wollen?“

„Ja.“ Sophus fühlte sich zu schwach, um zu lügen. Sein gequälter Körper schmerzte vom Kopf bis zu den Zehen.

„Schade, dass sie es gemerkt hat“, sagte Markus, dann ging er tatsächlich. Ein verdatterter Sophus blieb im Krankenzimmer zurück und fragte sich, was diese Abschlussbemerkung bedeuten mochte.

Zumindest eines war klar, ein großer Freund seiner Chefin war Markus Adamczyk nicht.

Kaum war dieser gegangen, kam Saphira ins Zimmer.

„Sie schulden mir eine Flasche Schampus, so viel steht schon mal fest. Oder Karten für das nächste Spiel der ‚Harzburger Harpyien‘. Heilerin Bascomb war nahe daran völlig neue Flüche zu erfinden, die sie auf mich niederregnen lassen könnte.“

Nach dieser Einleitung trat sie an Sophus Bett und überreichte ihm ein Becherglas mit einer gelblichen Flüssigkeit.

„Kein Liebestrank, keine Sorge.“ Saphira grinste.

„Was ist das?“

„Kenne Sie das nicht, Trankexperte? Das ist Skele-Gro. Hilft ihren ramponierten Knochen, wieder zusammenzuwachsen. Für einen einfachen Spruch sind sie zu stark verletzt. – Jetzt trinken Sie endlich. Ich habe noch andere Patienten.“

Sophus gehorchte und schüttelte sich. „Meine Güte, was ist das? Aufgelöste Mäusekacke?“

Als er Saphira das Becherglas zurückgab, hielt diese zwei Pillen bereit, die sie ihm im Austausch in die Hand drückte.

„Muggelzeugs gegen Kopfschmerzen. Heißt irgendwie so ähnlich wie Spargel. Hilft aber.“

Sie hielt ihren Zauberstab an das Glas. „Aquamenti. – Hier zum Nachspülen. Das Zeug ist bitter.“ Sie reichte Sophus das Becherglas voll Wasser.

Sophus schluckte die Tabletten und trank ein paar Schlucke. „Danke.“ Er gab Saphira das halbvolle Glas zurück und lächelte, so hoffte er, gewinnend. „Wird Lyra, ich meine Heilerin Bascomb, vorbeikommen?“

„Keine Ahnung. Als ich ihr erzählt habe, Sie wären jetzt bei uns auf Station, ist sie ohne Besen durch die Decke gegangen. Dann habe ich ihr erzählt, was Sie angestellt haben. Da hat sie mich ganz komisch angeguckt. Im ersten Moment dachte ich …“ Saphira verstummte.

„Was dachten Sie?“

„Nichts.“ Sie schüttelte unwillig den Kopf. Offenbar hatte sie bereits zu viel gesagt.

„Sagen Sie ihr, ich liege aus Liebe zu ihr hier.“

„Blödsinn.“ Saphira rauschte aus dem Zimmer, ohne sich weiter um Sophus zu kümmern.

Als die Wirkung der Medikamente einsetzte, ließen Sophus Schmerzen nach. Gleichzeitig wurde er schläfrig. Erschöpfung machte sich in seinem geschundenen Körper breit. Er schlief ein.

Als er wieder erwachte, stand Lyra an seinem Bett. Im ersten Moment vermeinte Sophus, angesichts ihres interessiert dreinblickenden Gesichts, zu träumen. Ihre harschen Worte verwischten diesen Eindruck sofort.

„Ich musste mich mit eigenen Augen davon überzeugen, dass du der größte Idiot bist, den die Zaubererschaft bisher hervorgebracht hat“, sagte sie. „Nicht nur, dass du es fertiggebracht hast, eine Bruchlandung hinzulegen, während du dich wie ein Hohne-Klipp-Schüler aufgeführt hast, nein, du musst auch noch dafür sorgen, dass das gesamte Krankenhaus davon erfährt.“

„Ich habe nicht …“

„Ach, wer hat den Flazebs dann von unserer, nennen wir es der Einfachheit halber mal so, Beziehung erzählt?“

„Flazebs? Was sind Flazebs?“

„Den Helfern, den Flamingozebras – stell dich nicht dümmer als du bist.“

„Ich habe nichts erzählt“, beteuerte Sophus. „Ich wollte nur zu dir auf Station. Heilerin Adamczyk hat ein bisschen was erklärt.“

„Saphira soll den Flazebs erklärt haben, warum du …? Nein, das glaube ich nicht.“

„Sie hat gesagt, die sollen es nicht weitertratschen.“

Jetzt lachte Lyra auf. „Das ist gut. Das ist wirklich sehr gut. Da kann sie es ebenso gut einem Reporter mit Schnellschreibefeder erzählen und sagen, es gingen keinen etwas an.“

Lyra holte ihren Zauberstab auf dem Umhang. „So jetzt zu dir.“ Sie begann mit der Untersuchung. Vorsichtig tastete sie Sophus Arme und Beine ab. Dabei führte sie den Zauberstab über die verletzten Körperpartien und beobachtete seine Spitze, die in verschiedenen Farben zu glühen schien.

Sie setzte die Spitze direkt an seine Schläfe und legte lauschen ein Ohr an das andere Ende. Die gleiche Prozedur wiederholte sie in Höhe von Sophus Herz und Lunge.

„Dreh dich mal auf den Bauch.“

Sophus gehorchte. Während er sich umwendete, meldeten sich seine verletzten Knochen wieder zu Wort. Offenbar waren sie noch nicht völlig wieder zusammengewachsen. Er ächzte.

„Jetzt versuch es bloß nicht mit der Mitleidstour“, sagte Lyra. „Du kannst froh sein, dass ich dich überhaupt behandele. Wir haben genug mit nichtmagisch Begabten zu tun, da brauchen wir keine Zauberer auf der Station, die blödsinnige Flugkunststücke machen, die sie nicht beherrschen.“

„Aber ich habe das doch nur für dich …“

„Und was habe ich davon? Mehr Arbeit. Ich sollte in meinem Büro sitzen, und mich weiter mit dem Vortrag für den Heilerkongress beschäftigen.“ Während der Untersuchung schwiegen beide. „Du kannst dich wieder umdrehen.“

Sophus gehorchte. „Wann findet dieser Kongress denn statt?“

„In zwei Monaten.“

„Ist doch noch lange hin“, sagte Sophus unbedacht.

„Lange hin? Glaubst du wirklich, so einen wissenschaftlichen Vortrag schreibt man mal so eben an einem Nachmittag? Da sind intensive Recherchen notwendig. Ich muss alles lesen, was andere Heiler zu dem Thema geschrieben haben. Dann muss ich einen Versuchsplan machen und Untersuchungen durchführen. In der nächsten Woche will ich mit den Versuchen anfangen.“

„Versuche? Was für Versuche?“

„Wir wollen nichtmagisch Begabte, die bei uns auf Station kommen, über die Art der Verletzung und die Heilverfahren aufklären. Es geht darum herauszufinden, ob dies die Heilung beschleunigt, was ich glaube, oder verlangsamt.“

„Du willst also Versuche an Muggeln durchführen?“

„Nichtmagisch Begabte!“

„Egal, aber du willst an ihnen Untersuchungen durchführen, oder?“

„Ja, wir sind eine medizinische Einrichtung. Aller unsere Untersuchungen müssen wir in letzter Konsequenz an Menschen durchführen.“

„Und da hast du keine Gewissensbisse, ausgerechnet du?“

„Nein, es ist für einen guten Zweck. Es wird uns viel darüber lehren, wie Menschen mit nichtmagischer Begabung die Konfrontation mit der Magie verkraften. Es wird uns zeigen, ob die Jahrhunderte alte Geheimhaltungsklausel sich nicht überlebt hat.“

„Glaubst du wirklich, Muggel sind heute gegenüber Zauberern aufgeschlossener?“

„Ja, schau dir nur ihre Begeisterung für Harry-Potter-Biografie an.“

„Die halten das für ein Märchen, für eine ausgedachte Geschichte.“

„Manche vielleicht, aber bestimmt nicht alle. Außerdem, lenk nicht ab, es geht hier nicht um mich, es geht um dich. Du kannst nicht auf dieser Station bleiben. Wenn wir einen neuen Fall eingeliefert bekommen, brauchen wir dieses Zimmer.“

„Ja, und? Ich habe keine Gnobberwarzen, ich bin mit dem Besen abgestürzt.“

„Du bist ein Zauberer.“ Lyra schüttelte frustriert die Hände in der Luft.

„Na und, wolltest du nicht gerade eben Muggel über die Welt der Zauberer und Zauberei aufklären. Mach mich zu einem Teil deiner Versuchsreihe.“

„Das ist kein geordneter Versuchsaufbau, das wäre Schocktherapie.“

„Wieso? Steht vielleicht Zauberer auf meiner Stirn? Wenn du einen Muggel hier reinschiebst, musst du ja nicht als Erstes erklären, dass ich mit einem fliegenden Besen vom Himmel gefallen bin, oder?“

„Ich muss die Experimente beim Bundesamt anmelden. Es gibt Gesetze. Illusionierung von nichtmagisch Begabten nach magischer Behandlung ist Pflicht. Ich brauche eine Ausnahmegenehmigung und muss einen kontrollierten Ablauf nachweisen. Die Patienten, die nicht illusioniert wurden, stehen anschließend unter Beobachtung. Das Bundesamt stellt extra Auroren ab. Wenn du einfach im Zimmer mit den Patienten liegst und verkündest, du seist ein Zauberer, kann alles Mögliche passieren. Willst du mich denn nicht verstehen?“

„Ich will bei dir sein. Das verstehen auch Muggel.“

„Sag nicht immer Muggel, das klingt so abwertend. Würdest du mich Negerin nennen?“ Lyras Augen sprühten Funken bei diesen Worten.

„Nein, natürlich nicht.“ Sophus bekam rote Ohren. So hatte er es noch nie betrachtet. Er würde Lyra höchsten sein Schokohäschen nennen, seine Lebkuchenfee vielleicht oder einfach nur seine große Liebe. Dass jemand sie einfach „Neger“ titulieren könnte, war ihm bisher gar nicht in den Sinn gekommen.

Lyra war inzwischen von Sophus Bett zurückgetreten und hatte sich dem Ausgang zugewandt.

„Schlaf dich aus, morgen wirst du verlegt“, sagte sie und legte die Hand auf die Klinke.

 

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