Wie Sophus verhaftet wird

Sophus' Traumfrau Lyra erweist sich im Nachhinein als eine erfahrene Hexe, die als Heilerin arbeitet. Sie kann es überhaupt nicht verknusen, wenn Zauberer sich über Muggel erheben und mit unlauteren Mitteln von diesen etwas erschleichen wollen - z.B. eine Liebesnacht. So kommt es, dass Sophus vor Gericht erscheinen muss. Welche Strafe auf ihn wartet? Lesen Sie mehr!

Am nächsten Morgen wurde Sophus aus tiefem Schlaf gerissen, als jemand heftig an seine Wohnungstür bummerte. Noch immer mit halbgesenkten Lidern durch den Korridor schlurfend hörte er draußen jemanden rufen: „Machen Sie auf, sonst kommen wir rein.“

Sophus vermeinte, dieser Satz sei widersinnig, denn um reinzukommen, mussten die, die Einlass begehrten, gerade darauf warten, dass er ihnen öffnete. Dennoch trieb die energisch vorgebrachte Aufforderung ihn zur Eile an. Aber bereits bevor er die Tür erreicht hatte, war diese verschwunden. Im offenen Rahmen standen zwei Männer in dunkelblauen Umhängen mit dem Wappen des Bundesamtes auf der linken Seite – Auroren, die Polizisten der Zauberer. Was wollten die von ihm?

„Sind Sie Sophus Schlosser?“

„Ja.“ Sophus nickte und versuchte, seine Augen endlich vollständig zu öffnen.

„Ich verhafte Sie im Namen des Bundesamtes für magische Angelegenheiten wegen Verstoß gegen Paragraph 17 des Codex für magisches Verhalten gegenüber Muggeln. Sie werden beschuldigt, gegenüber Muggeln Magie angewandt zu haben, um sich sexuelle Leistungen zu erschleichen.“

Sophus machte einen Schritt rückwärts. Jemand hatte ihn angeschwärzt.

Es stimmte. Er hatte hin und wieder einer Muggelfrau einen Liebestrank verabreicht, um ein bisschen Spaß zu haben, aber das machten Muggelmänner auch. Sie füllten ihre Auserwählten mit Sekt und Cocktails ab, um sie besser abschleppen zu können. Keiner fand das verwerflich – zumindest wurde niemand deswegen verhaftet. Und unter Zauberern war die Verwendung von Liebestränken durchaus legitim, wenn man sie auch für kindisch hielt. Einem Partner einen Liebestrank unterzuschieben gehörte zu den Dingen, die man spätestens mit dem Ende der Teenagerzeit hinter sich ließ. Aber jetzt standen da diese beiden breitschultrigen Typen, hatten inzwischen ihre Zauberstäbe gezückt und sahen ihn an, als hätte er sich mit schwarzer Magie beschäftigt.

Sophus legte keinen Wert auf einen Aufenthalt auf Sylt II – dem deutschen Gefängnis für Zauberer und Hexen. Die weit draußen auf der Nordsee befindliche stählerne Konstruktion wurde von den Muggeln für eine Bohrinsel gehalten.

Anders als in England und Frankreich, wo man sich erst nach dem letzten magischen Bürgerkrieg von diesen besonderen Wächtern getrennt hatte, hatte es auf Sylt II noch nie Dementoren oder andere magische Wesen, die die Gefangenen beaufsichtigten, gegeben. Stattdessen umgab ein Zauber jede Zelle, der alle magischen Aktivitäten im Inneren verhinderte. Jeder Gefangene war ein seiner Fähigkeiten beraubter Zauberer, ein Squibb. Das galt als humaner als die Nutzung von Dementoren und nach den Erfahrungen in England als sicherer. Sylt II war unmittelbar nach den Unruhen auf den britischen Inseln errichtet worden, hatte das kleinere Helgoland I ersetzt und unterstand direkt dem Bundesamt für magische Angelegenheiten.

Das war so typisch deutsch, fand Sophus. Man hatte kein Ministerium, man hatte ein Amt. Allerdings war dieses dem Kanzleramt gleichgestellt, und sein Leiter besaß damit die gleichen Befugnisse wie ein Minister.

Sophus dachte nicht einmal an Flucht. Er wusste genau, dass seine magische Potenz den Auroren niemals standhalten konnte. Außerdem hatte er nicht einmal seinen Zauberstab in der Hand, während diese ihre direkt auf seine Brust gerichtet hielten. Er hob einfach die Hände.

„Der Beschuldigte ergibt sich“, sagte der, der ihm seine Anklage verkündet hatte. Seine Worte wurden sicherlich durch seinen Zauberstab aufgezeichnet.

„Wir beginnen mit der Durchsuchung der Räume.“ Er sprach sehr betont. Ja, das wurde entweder mitgeschnitten oder jemand in der nächsten Wache hörte zu. „Zuvor werde ich dem Gefangenen seine Rechte zeigen.“

Der Beamte schwang seinen Zauberstab. Direkt vor Sophus entfaltete sich ein tischtuchgroßes Pergament, blieb senkrecht in der Luft vor seiner Nase hängen und füllte sich mit Text.

„Lesen Sie sich bitte ihre Rechte gründlich durch“, sprach der Auror jetzt direkt Sophus an. „Nehmen Sie bitte auch zur Kenntnis, dass wir berechtigt sind, die Räumlichkeiten hier zu durchsuchen – dritter Absatz.“

Sophus zuckte nur die Schultern.

Während einer der Beamten bei ihm blieb und weiter mit seinem Zauberstab auf ihn zielte, begann der andere die Wohnung zu durchsuchen. Systematisch ging er von Zimmer zu Zimmer.

„Wohin führt dieser Kamin?“

„Ich habe ein kleines Labor“, sagte Sophus, ohne zu zögern. Es wäre sinnlos gewesen zu lügen. Wahrscheinlich wussten diese Typen, welche Verbindungen des Flohnetzwerkes er am häufigsten verwendete. Da dieses ebenfalls dem Bundesamt unterstand, wäre alles andere eine Überraschung gewesen.

„Einwahl?“, fragte der Beamte fordernd und Sophus verriet sie ihm.

Während Sophus und sein Bewacher zurückblieben, machte der andere Auror sich offenbar auf den Weg zur Garage.

„Darf ich mich setzen?“, fragte Sophus.

Der Wachposten nickte nur. Sophus drehte sich mit erhobenen Händen um und wollte sich auf den Weg ins Wohnzimmer machen.

„Halt, wo wollen Sie hin?“, erklang eine strenge Stimme in seinem Rücken.

„Ins Wohnzimmer. Ich habe doch gefragt, ob ich mich setzen darf.“

„Hier, auf den Boden. Oder muss ich grob werden.“

Sophus ließ sich einfach fallen. Er hatte keine große Lust, einen Lähmungszauber in den Rücken geschossen zu bekommen.

Sophus an der Wand des Korridors sitzend, sein Bewacher zwei Schritte entfernt vor ihm stehend, so erwarteten sie die Rückkehr des anderen Aurors aus dem Kamin. Der Mann, der Sophus bewachte, war etwas größer als dieser, breitschultrig. Er hatte kurzes, schwarzes Haar und buschige Brauen. Er schien Sophus nicht besonders alt zu sein, kaum dreißig.

„Wo bringt ihr mich hin?“, fragte Sophus.

„Wache – Steinerne Renne. Wo sonst?“

Jetzt wo Sophus es hörte, fiel ihm ein, dass er von dieser magischen Enklave schon gehört hatte. Da gab es eine Wache und weiter oberhalb in Richtung Brocken eine Heilerstation, also ein Gebäude, das Muggel ein Krankenhaus genannt hätten. Bei dem Gedanken an ein solches fiel Sophus Lyra wieder ein.

Sofort krampfte sich in seinem Inneren etwas zusammen. Sollte die ihn tatsächlich angeschwärzt haben? Immerhin wäre es ein seltsamer Zufall, wenn er am Abend zuvor einen Trank bei einer Frau angewandt hätte, die nicht darauf ansprach, am nächsten Morgen verhaftet würde und diese Frau hätte nichts damit zu tun.

Aber andererseits war Lyra eine Muggelfrau. Wie hätte sie Kontakt zum Bundesamt für magische Angelegenheiten aufnehmen sollen? Wie hätte sie überhaupt auf die Idee kommen sollen, dass es so ein Amt gab? Außerdem war sie eine so liebliche und begehrenswerte Schönheit, Sophus konnte nicht glauben, sie wäre zu so einer Tat fähig. Nein, eher gab es da irgendwo eine Zauberin, die ihn begehrte, seine Hingabe zu der Muggelfrau erkannt hatte, und nun aus Eifersucht die Auroren auf ihn hetzte. Ja, das musste es sein.

Sophus vernachlässigte völlig die Tatsache, dass er sich nach seiner Ausbildung nie mit einer Hexe eingelassen hatte.

Er saß auf dem Boden des Korridors und seufzte. Wäre Lyra doch bei ihm. Wie viel einfacher wäre die Schmach der Verhaftung zu ertragen, wenn sie jetzt an seiner Seite säße und seine Hand hielte. Ihr Bild erschien direkt vor seinen Augen, die schokoladenfarbene Haut und der Blick so lind. Das Lächeln ihrer vollen Lippen schwebte vor seinem Gesicht, er sah ihre weißen, makellosen Zähne, die das Halbdunkel des Korridors erhellten.

Es polterte, Sophus kehrte in die Wirklichkeit zurück. Der zweite Auror war von seinem Ausflug in die Garage zurückgekehrt. In jeder Hand hielt er mehrere von Sophus‘ Phiolen. Den Zauberstab hatte er locker hinter den Gürtel geklemmt.

„Das dürfte genügend Beweismaterial sein“, sagte er und schwenkte seine Beute vor Sophus‘ Gesicht. „Stehen Sie auf.“

Sophus gehorchte. Er musste sich irgendwie aus dieser Sache herausreden. Aber es hatte keinen Sinn, dies gegenüber diesen beiden Auroren zu versuchen. Die waren Beamte. Sie taten, was man ihnen aufgetragen hatte, stellten keine Fragen, fällten keine Urteile. Aber bald würde er den Richtern vorgeführt werden. Dann musste sich zeigen, was wirklich gegen ihn vorlag.

Die Beamten nahmen ihn in die Mitte, packten ihn jeder an einem Arm und disapparierten dann aus Sophus Wohnung.

Der Raum, in dem Sophus sich als Nächstes wiederfand, war kahl und grau. Der Fußboden war grau, die Wände waren grau. In der Mitte des Raumes stand ein Tisch aus mattem Metall, davor ein mit grauem Stoff gezogener Stuhl auf jeder Seite. Auf einem dieser Stühle saß eine Frau um die Vierzig mit frühzeitig ergrautem Haar. Sie trug eine Hornbrille, die zur Abwechslung braun war, ein schwarzes, streng anmutendes Kostüm und einen Gesichtsausdruck, als hätte sie gerade eine Zitrone verzehrt.

Die beiden Auroren schoben Sophus zum Tisch.

„Setzen Sie sich bitte“, sagte die Frau.

Sophus ließ sich auf dem Stuhl nieder, seine Bewacher nahmen links und rechts von ihm Aufstellung.

„Sie sind Sophus Schlosser?“, fragte die Frau.

Sophus nickte.

„Sagen Sie bitte ‚Ja‘ oder ‚Nein‘, damit ihre Antwort aufgezeichnet werden kann.“

„Ja.“

„Mein Name ist Dorothea von Brück. Ich klage Sie hiermit offiziell an, mehrfach gegen Paragraph 17 des Codex für magisches Verhalten gegenüber Muggeln verstoßen zu haben, indem sie magische Mittel, das heißt Liebestränke, verwendet haben, um Gewalt über Muggelfrauen zu erlangen und dann Sex mit diesen zu haben.“

„Das ist nicht wahr“, sagte Sophus schlicht.

Die Anklägerin streckte die Hand zur rechten Seite aus, wo der Auror stand, der in Sophus‘ Garage gewesen war. Dieser reichte Frau von Brück die gefundenen Phiolen.

„Was ist da drin?“, fragte Frau von Brück den Auror.

„Amoroso greco und Eroteria.“

„Was sagen Sie dazu?“, fragte Frau von Brück Sophus beinahe belustigt.

„Ich wollte nicht bestreiten, dass ich Liebestränke braue. Das ist so eine Art Hobby von mir. Aber ich würde die nie bei Muggeln anwenden.“

„Sie lügen.“ Frau von Brück sah aus, als wolle sie im nächsten Augenblick Blitze schleudern. „Und ich werde es ihnen beweisen, denn es gibt Zeugen.“

„Da bin ich aber gespannt“, versuchte Sophus eine hochmütige Attitüde an den Tag zu legen. Allerdings hatte in die Erwähnung von Zeugen doch verunsichert.

Dorothea von Brück winkte mit ihrem Zauberstab und die Tür in ihrem Rücken sprang auf. „Kommen Sie bitte, Frau Bascomb.“

Als die Aufgerufene eintrat, blieb Sophus‘ Herz stehen. Er riss die Augen auf und wünschte für einen Moment, aus dem offensichtlichen Albtraum erwachen zu dürfen. Da stand seine Traumfrau, blickte auf ihn hinab wie auf ein Ungeziefer und verzog den Mund zu einem Ausdruck des Abscheus.

„Treten Sie näher“, bat die Anklägerin höflich. Lyra trat neben diese an den Tisch. Sophus blickte ihr angestrengt ins Gesicht, versuchte zu ergründen, wie diese Muggelfrau einen Zaubertrank hatte erkennen und vermutlich unschädlich machen können. Außerdem musste sie einen Weg gefunden haben, die Aurorenwache zu betreten, die Muggel gemeinhin nicht einmal sahen. Während er darüber nachgrübelte, blickte Lyra ihn noch immer an, als wäre etwas, das man mit dem Besen über den Küchenboden und zur Tür hinausjagt oder gar zertritt.

„Wie heißen Sie?“

„Mein Name ist Lyra Bascomb.“

„Weitere Angaben zu ihrer Person, bitte.“

Sophus hörte gar nicht richtig zu, seine Gedanken kreisten um die Frage, warum Lyra ihn verraten hatte. Konnte hinter einer so lieblichen Fassade so ein grimmiges Herz wohnen.

„Ich bin 25 Jahre alt und wohne in Wernigerode. Ich wurde in Little Stonyacre, Schottland geboren und kam 1997 mit meinen Eltern nach Deutschland. Sie waren auf der Flucht – es dürfte bekannt sein vor wem. Ich bin ledig, habe keine Kinder und arbeite als Heilerin in der Station ‚Drei Annen‘.“

„Sie kennen diesen Mann?“ Frau von Brück deutete auf Sophus.

„Ja.“

„Wie haben Sie ihn kennengelernt?“

„Ich war gestern Abend in einer Bar in Wernigerode, um den Tag ausklingen zu lassen. Er hat einen Mann, der sich zunächst an meinen Tisch gesetzt hatte, behext, offenbar, um selbst Kontakt zu mir knüpfen zu können.“

„Aber nur, weil …“, rief Sophus dazwischen.

„Mund halten“, fuhr die Anklägerin ihn an. Dann schwenkte sie den Zauberstab und Sophus Zunge klebte plötzlich an seinem Gaumen.

„Fahren Sie bitte fort“, wandte sie sich dann wieder an Lyra.

„Anfangs schien er sehr nett“, fuhr Lyra fort, aber dann hat er mir einen Trank in mein Getränk geschüttet.

„Mmh, mmh … ach“, machte Sophus.

„Woher wissen Sie das?“

„Ich habe es gesehen. Ich habe eilig die Toilette aufgesucht und prophylaktisch einen Magenstein geschluckt“, erläuterte Lyra.

„Was bringt Sie zu der Annahme, dass es sich um einen Liebestrank gehandelt hat?“

„Ich habe davon getrunken, bin dann in die Heilerstation appariert und habe mein Blut analysiert. Es handelte sich eindeutig um Eroteria.“

„Allerdings sind Sie keine Muggel“, stellte Frau von Brück fest. „Wie kommen Sie auf die Idee, der Angeklagte würde auch einer Muggelfrau einen Liebestrank verabreicht haben?“

„Ich hatte mich nicht zu erkennen gegeben. Aus dem Verhalten dieses Mannes musste ich schließen, dass er mich für eine nichtmagische begabte Person hielt.“

‚Ach, so eine bist du‘, dachte Sophus in diesem Moment. Seit einiger Zeit gab es Bestrebungen, das Wort ‚Muggel‘ als diskriminierend aus dem Sprachgebrauch zu entfernen. Das Bundesamt hatte als Alternative ‚Magisch unbegabte Person‘ vorgeschlagen.

Aronia Grünberg, die Herausgeberin der Zeitschrift ‚Hermine‘, war gegen diesen Vorschlag Sturm gelaufen, da er schließlich nicht den Tatsachen entspräche.

Neueste Untersuchungen hatten tatsächlich gezeigt, dass die Fähigkeiten von Zauberern auf einer genetischen Anomalie beruhten, die für diese mit starken geistigen Defiziten in anderen Bereichen einherging. Alle Zauberer litten an einer ausgeprägten Form von Dyskalkulie. Rechenoperationen außerhalb des kleinen Einmaleins waren für sie unlösbare Rätsel. Diese Tatsache erklärte unter anderem die Unfähigkeit von Zauberern, Muggelerfindungen wie Automobil, Telefon oder Computer zu verstehen. Neben diesem Problem hatte eine ganze Reihe von Zauberern mit Legasthenie zu kämpfen. Nur selbstkorrigierende Federkiele sorgten dafür, dass sie lesbare Texte zu Papier brachten.

Schließlich ging die Zauberfähigkeit in einer Anzahl von Fällen mit der Ausbildung von Größenwahn einher. Das galt inzwischen als anerkannte Erklärung für die Entwicklung der schwarzen Magie. Es galt, je größer die Fähigkeit des Zauberers, desto ausgeprägter war sein Hang zur Weltherrschaft. Die ‚Bild der Magie‘ hatte in ihrer üblichen Bescheidenheit folgerichtig getitelt: ‚Deutschland hatte den GröZaZ‘ ungeachtet der Tatsache, dass dieser Größenwahnsinnige nie im Leben Magie vollbracht hatte.

Egal, Aronia Grünberg hatte in der ‚Hermine‘ um Vorschläge der Leserinnen (und Leser, aber die gab es nicht) gebeten, wie man Muggel zukünftig nennen solle. Gewonnen hatte der Vorschlag ‚Nichtmagisch begabte Person‘.

Und jetzt erkannte Sophus, dass seine Traumfrau offensichtlich eine begeisterte Anhängerin dieser Giftspritze und ihres Käseblattes war, das vorgab, sich für die Gleichberechtigung Muggelgeborener einzusetzen. Nicht dass Sophus etwas gegen Muggel oder deren zauberkundige Kinder hatte, keineswegs, aber die aggressive Art einer Frau Grünberg, die am liebsten alle nichtmuggelgeborenen Zauberer auf einsame Inseln verbannt hätte, damit diese sich nicht weiter vermehren konnten, war ihm zuwider. Sie hatte tatsächlich verlangt, man müsse unabhängig von der Befähigung der Bewerber bei öffentlichen Ämtern muggelgeborenen Zauberern grundsätzlich den Vorzug geben. Zum Glück hatte das Bundesamt dieser Forderung noch nicht stattgegeben.

Sophus Gedanken waren abgeirrt. Als er sich wieder auf die Vernehmung konzentrierte, wurde diese offenbar gerade beendet.

„Danke“, sagte Frau von Brück. Dann schwang sie ihren Zauberstab und löste Sophus Zunge.

„Was haben Sie zu ihrer Verteidigung zu sagen“, wandte sie sich an ihn.

„Ich habe sofort erkannt, dass es sich bei der Zeugin um eine Hexe handelt“, log er.

Lyra lachte schallend und die Anklägerin stimmte kurz mit ein, setzte dann aber eilig wieder eine ernste Miene auf und fragte: „Und warum haben Sie sich dann nicht als Zauberer zu erkennen gegeben? Im Gespräch mit der Zeugin haben sie stattdessen den Anschein erweckt, ein Mug… nichtmagisch Begabter zu sein.“

„Ich habe nicht …“, setzte Sophus an.

„Sie haben erklärt, Besenbinder zu sein“, wurde er scharf unterbrochen. „Auf Nachfrage haben sie weiterhin gesagt, dass sie keine fliegenden Besen herstellen. Das ist ganz klar ein Versuch, ihre magische Befähigung zu verschleiern.“

„Das war eine Bar voller Muggel“, protestierte Sophus. „Ich konnte doch nicht der ersten besten Bekanntschaft erklären, ich bin ein Zauberer.“

„Ha“, fuhr Frau von Brück ihn an und streckte den Zauberstab direkt gegen seine Brust. „Gerade eben haben Sie behauptet, Frau Bascomb sofort als Hexe erkannt zu haben. Es wäre also selbstverständlich gewesen, sich als Zauberer erkennen zu geben, bevor sie ihr einen Liebestrank verabreichten.“

„Aber … aber …“ Sophus wusste nicht mehr weiter.

„Damit ist die Sache klar“, stellte Frau von Brück fest. „Ich erkläre Sie hiermit für schuldig im Sinne der Anklage.“

„Ich will nicht nach Sylt“, jammerte Sophus.

„Wer spricht von Sylt?“ Frau von Brück schüttelte den Kopf. „Wenn wir jeden Zauberer nach Sylt II schickten, der Liebestränke an Muggeln ausprobiert, dann wäre die Nordsee nicht groß genug für die Insel.“

Sophus schaute trotz dieser Eröffnung hoffnungslos drein. Was wäre stattdessen sie Strafe für seine Verfehlung?

„Ich verkünde hiermit das Urteil.“ Frau von Brück erhob sich bei diesen Worten. „Der Angeklagte Sophus Schlosser wird für schuldig befunden gegen Paragraph 17 des Codex für magisches Verhalten gegenüber Muggeln verstoßen und Liebestränke zwecks Einsatz an solchen Personen gebraut zu haben. Als Erziehungsmaßnahme wird eine zweimonatige Ausgleichsstrafe verhängt. Der Angeklagte wird zu gebrochenem Herzen verurteilt. Es besteht die Möglichkeit, Widerspruch gegen das Urteil einzulegen.“

„Was, wenn ich Widerspruch einlege?“, fragte Sophus zaghaft.

„Dann kommt es zu einer Verhandlung vor der großen Zauberstrafkammer des Bundesamtes. Bei dieser Beweislage dürfte es nicht unter einem Jahr Sylt II abgehen. Das Hohe Gericht liebt es nicht, wegen Bagatellen, die eindeutig geklärt sind, angerufen zu werden.“

Sophus ließ den Kopf hängen. Zwei Monate gebrochenes Herz – selbst wenn er nicht wusste, was das zu bedeuten hatte, so hörte es sich nicht wirklich gut an. Sie machten sich hoffentlich nicht tatsächlich an seinem Körper zu schaffen.

Dorothea von Brück wandte sich an Lyra. „Da Sie in diesem Fall die eigentlich Geschädigte sind, sind Sie berechtigt, die Ausgleichsstrafe zu vollziehen. Wie man mir sagte, haben Sie alles schon vorbereitet.“

Frau von Brück und Lyra hatten nach Sophus Meinung vor der Verhaftung alles besprochen. Eine solche Vorgehensweise stellte in Zaubererkreisen nichts Ungewöhnliches dar, da Anklagen praktisch nie ohne handfeste Beweise erfolgten und eigentlich immer zur Bestrafung des Delinquenten führten.

„Ja“, erwiderte Lyra nur und verließ kurz den Raum.

Diese Zeit nutzte Frau von Brück, um Sophus die weiteren Modalitäten seiner Strafe zu erläutern. „Während der Dauer der Strafe werden ihr Kessel und ihr Zauberstab konfisziert und hier hinterlegt. Da Sie für ihre Arbeit einen Zauberstab benötigen, wird ein Ersatz auf ihrer Arbeitsstelle bereitgestellt. Dieser ist nur dort zu benutzen. Eine Nutzung außerhalb der festgeschriebenen Räumlichkeiten hat eine sofortige erneute Festnahme und eine Verschärfung der Strafe zur Folge. Haben Sie das verstanden?“

Sophus nickte ergeben.

Als Lyra wieder ins Zimmer trat, hatte sie ein Becherglas mit einer Flüssigkeit dabei, die aussah wie Bier. Sie ging zu Sophus hinüber, hielt ihm das Glas mit ausgestrecktem Arm entgegen und sagte nur: „Nimm.“

Sophus gehorchte. Er schnupperte vorsichtig. Die Flüssigkeit roch auch wie Bier. Allerdings mischten sich andere Aromen in den Geruch nach Gerstensaft. Es war derselbe Parfümgeruch, den er am Abend zuvor in der Bar wahrgenommen hatte, als er von Lyras Wasser getrunken hatte. Wieder roch es nach Äpfeln und Holz. Diesmal nahm er darüber hinaus der Duft von Schokolade wahr. Er war sehr schwach, aber er war da.

„Trinken Sie“, sagte die Anklägerin streng. Sie machte eine Bewegung mit den Händen und die Auroren, die mit unbeteiligtem Blick hinter Sophus gestanden hatten, traten näher an dessen Stuhl heran. Sie waren bereit, ihn zu zwingen dieses Bier zu trinken, wenn er es nicht freiwillig tat.

Das Becherglas enthielt neben Bier offenbar einen Zaubertrank. Das wusste Sophus sofort, aber welchen? Gebrochenes Herz. Welcher Zaubertrank passte zu dieser Strafe?

Und dann kam ihm die Erleuchtung und mit ihr kam die Erkenntnis, dass Lyra keine so reine Weste hatte, wie sie hier vorgab.

„Sie hat mir Amortentia eingeflößt“, fuhr er auf und deutete auf die junge Frau, die jetzt wieder hinter dem Stuhl der Anklägerin stand.

„In Notwehr, das ist uns bekannt“, sagte Frau von Brück. „Es war, wenn wir der Aussage der Zeugin folgen, nur eine geringe Dosis. Nur ein paar Stunden wirksam. Die Zeugin hat ausgesagt, sie wollte sicherstellen, dass Sie nicht gewalttätig werden, wenn Sie erkennen, dass ihr eigener Trank nicht gewirkt hat.“

„Gewalttätig – ich?“ Sophus traf diese Behauptung wie ein kalter Guss. „Man kann mich sicher der genannten Vergehen anklagen, aber Gewalt gegen Frauen, nein, Gewalt überhaupt ist mir zuwider.“

„Das ist gut so“, sagte Frau von Brück. „Jetzt bleiben Sie, bitte, auch hier schön friedlich, dann haben wir es alle bald hinter uns und können gehen. Trinken Sie!“

Eine Hand legte sich auf Sophus‘ linke Schulter. Er ergab sich seinem Schicksal, hob das Becherglas und stürzte seinen Inhalt in einem einzigen großen Zug hinunter. Ganz kurz verschwamm der Raum vor seinen Augen, dann sah er allein nur Lyra. Sie stand in eine goldene Aura gehüllt vor ihm und lächelte. So hatte er sich als Kind immer einen Engel vorgestellt. Lyra war ein Schokoengel. Das weiße Kleid, das sie trug, bildete einen angenehmen Kontrast zur Farbe ihrer Haut.

Langsam erhob sich Sophus. Er lächelte verklärt und bewegte sich auf seine Angebetete zu.

„Lyra“, flüsterte er, als wäre es eine Beschwörungsformel. „Lyra.“

Die Angesprochene blickte ihn streng an. „Bleib mir vom Leib“, sagte sie herrisch.

„Aber Lyra, ich liebe dich.“

„Du bist ein wollüstiges Schwein“, kam es aus dem Rosenmund. Sophus hörte nicht die Worte, nur den Klang der Stimme, und er tönte wie Musik in seinen Ohren.

„Bleib endlich stehen“, fauchte Lyra, als er einen weiteren Schritt auf sie zu trat.

„Ich kann nicht“, erwiderte Sophus. „Bitte, umarme mich, küss mich, halt mich.“ Er wollte weiter auf diese Abgöttin zugehen, da wurde er von kräftigen Händen gepackt und festgehalten.

„Lasst mich“, forderte er. „Ich muss zu ihr.“

„Du wirst mich nie wiedersehen“, erklärte Lyra, wandte sich ab und verließ den Raum, während Sophus mit den Auroren rang, die ihn zurückhielten.

Als Lyra den Raum verlassen hatte, meldete sich Dorothea von Brück ein letztes Mal zu Wort. „Bringt ihn fort“, sagte sie. „Er verpestet die Luft.“

 

Die Auroren nahmen ihn an den Armen und gemeinsam apparierten sie vor seiner Haustür. Dort ließen sie ihn einfach zurück. 

Kommentare: 0 (Diskussion geschlossen)
    Es sind noch keine Einträge vorhanden.

Ich mag:

Besucherzaehler